T. Bovermann: Zionistinnen. Gegenwartsarbeit als frauenpolitisches Konzept in der zionistischen Bewegung in Deutschland

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Titel
Zionistinnen. Gegenwartsarbeit als frauenpolitisches Konzept in der zionistischen Bewegung in Deutschland.


Autor(en)
Bovermann, Tine
Reihe
Jüdische Kulturgeschichte in der Moderne (25)
Erschienen
Berlin 2022:
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabrina Schütz, Didaktik der Geschichte, Universität Regensburg

Mit ihrer Dissertationsschrift legt Tine Bovermann erstmals eine Geschichte des deutschen Zionismus zwischen 1900 und 1920 vor, bei der Frauen und ihre frauenpolitischen Positionierungen im Zentrum der Betrachtung stehen. Diese spezifische Position zu bestimmen und zu untersuchen, „auf welche Weise Zionistinnen Räume entworfen, sie geschlechtlich konnotiert und in die zionistische Ideologie integriert haben, um Frauen einen Platz im nationalen Projekt zu sichern“ (S. 8), sind die Ziele der Studie. „Gender“ – hier in Anlehnung an Joan W. Scott als soziales und kulturelles Konstrukt sowie gesellschaftliches Strukturmerkmal verstanden – dient Bovermann dabei als Analysekategorie, um zu zeigen, dass die Bezugnahme der Zionistinnen auf das Geschlecht strategisch handelnd erfolgte, um ihre Partizipationsmöglichkeiten in der zionistischen Bewegung zu erweitern und „Gegenwartsarbeit“ neu zu gestalten.

Um die frauenpolitischen Narrative herauszuarbeiten, bedient sich die Autorin einer diskursgeschichtlichen Analyse, die sie mit kurzen Kapiteln zur Geschichte zionistischer Frauenvereine in Deutschland verbindet. Im Zentrum der diskursanalytischen Untersuchung stehen vier Debatten in der Jüdischen Rundschau, dem Zentralorgan der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, welche durch selektive Auswertungen von Quellen aus den Central Zionist Archives ergänzt werden. Der Hauptteil der Arbeit ist den Debatten folgend damit in insgesamt vier Kapitel untergliedert.

Im zweiten Kapitel ihrer Studie „Von Wien nach Basel. Gegenwartsarbeit in der zionistischen Bewegung“ zeichnet Bovermann die Entstehung von „Gegenwartsarbeit“ nach. Deutsche Zionistinnen eigneten sich damit ein Konzept an, das zunächst vor allem in osteuropäischen Sektionen populär war und über kulturelle Arbeit in der Diaspora „die Nationalisierung des jüdischen Volkes“ (S. 58) gewährleisten wollte. Die Anhänger des Kulturzionismus konkurrierten dabei mit den Anhängern Theodor Herzls und der politischen Strömung im Zionismus um Deutungshoheiten. Dank Bovermanns Analyse wird hier vor allem die Anschlussfähigkeit des Konzeptes „Gegenwartsarbeit“ für deutsche Zionistinnen deutlich: Obwohl bereits auf dem zweiten Zionistischen Kongress 1898 beschlossen worden war, dass Frauen das aktive und passive Wahlrecht erhalten sollten, blieb ihr politischer Aktionsradius vorerst ein begrenzter. So reklamierten sie in den neu gegründeten zionistischen Frauenvereinen die Förderung der Kulturarbeit für sich, die sie den Vorstellungen männlicher Zionisten über zionistische Frauenrollen entlehnten. Als besonders attraktiv erwies sich für sie die geschlechtsspezifisch konnotierte Bedeutung, welche der zionistischen Frau und Mutter als Mittelpunkt des „jüdischen Hauses und der Familie“ sowie als „Erzieherin der Jugend“ zugedacht wurde (S. 55).

Das dritte Kapitel „Zwischen Emanzipation und Statuserhalt“ analysiert die Handlungsspielräume von Frauen in der zionistischen Bewegung und die geschlechtlichen wie nationalen Selbstverortungen deutscher Zionistinnen, die ihren Niederschlag in den Debattenjahren 1904/05 fanden. Die Autorin geht dabei auch der Frage nach, wie sich die Zionistinnen gegenüber den bürgerlichen wie jüdischen Frauenbewegungen, einschließlich des 1904 gegründeten Jüdischen Frauenbundes, positionierten. Die Auseinandersetzung der Zionistinnen mit den sie umgebenden Diskursen war, so belegt die Autorin, äußerst ambivalent, da die bürgerlichen Frauenbewegungen nicht nur als Orientierung, sondern auch als Konkurrenz wahrgenommen wurden (vgl. S. 131). Verbindendes Element war vor allem die Idee der Emanzipation als „Anerkennung von Frauen als politisch aktive Personen, die als solche in der Gesellschaft mit dem Mann gleichgestellt waren“ (S. 131). Jedoch galten diese Emanzipationspolitiken nur als legitim, wenn sie mit der übergeordneten Idee der ‚jüdischen Nation‘ verbunden wurden, woraus sich die Kritik der Zionistinnen an den bürgerlichen Frauenbewegungen ergab. In der Zusammenführung von ‚Frauenfrage‘ und ‚Judenfrage‘ lag die emanzipatorische Bedeutung der Gegenwartsarbeit für die Zionistinnen (vgl. S. 131f.).

Im vierten Kapitel rekonstruiert Bovermann die „Partizipationsforderungen von Zionistinnen“ am Beispiel der Debatte um einen Dachverband für zionistische Frauenvereine im Jahr 1911. Hier geht es um innerzionistische Abgrenzungsdebatten gegenüber dem „Verband jüdischer Frauen für Kulturarbeit in Palästina“ (Kulturverband). Dabei nahmen die Debattierenden Bezug auf geschlechtliche Eigenschaften, aus denen sie besondere Befähigungen für spezifisch weibliche Räume in der zionistischen Arbeit ableiteten. Indem die Akteurinnen Erziehung und Haushaltsförderung zu zionistisch-frauenspezifischen Betätigungsfeldern erklärten, nationalisierten sie gewissermaßen den als weiblich definierten, ‚privaten Raum‘. Gleichzeitig grenzten sie sich vom männlich konnotierten, öffentlichen Bereich ab, der sich vor allem auf den Aufbau Palästinas konzentrierte. Wie aus Bovermanns überzeugender Analyse hervorgeht, bezogen sich deutsche Zionistinnen damit zwar auf bürgerliche, zumeist von männlichen Zionisten erdachte Vorstellungen getrennter geschlechtlicher Sphären im Zionismus, politisierten diese aber zugleich (vgl. S. 207f.).

Im letzten, fünften Kapitel „Anschlussfähig bleiben“ bezieht sich Bovermann auf die Unterscheidung zwischen verschiedenen Generationen im deutschen Zionismus, wie sie Jehuda Reinharz in seinen Arbeiten beschrieben hat. Sie ordnet die in den Debatten zuvor rekonstruierte, kulturzionistisch ausgerichtete Strömung einer ‚ersten Generation‘ deutscher Zionistinnen zu, welche sich im Zuge des wachsenden Palästinozentrismus der zionistischen Bewegung zunehmend auch den praktisch-zionistischen Ideen einer ‚zweiten Generation‘ zugewandt hätte (vgl. S. 277). Damit verbunden war eine Erweiterung der frauenpolitischen Arbeitsfelder der Gegenwartsarbeit um Landwirtschaft und Gartenbau, welche es ermöglichten, einerseits „traditionelle Rollenbilder“ (S. 279) zu reproduzieren und sich andererseits – wie in der 1917 geführten Debatte um die Errichtung einer Landwirtschaftsschule („Mädchenfarm“) in Palästina sichtbar wurde – über das Selbstbild der „deutschen Kolonistin“ gleichzeitig vom sozialistischen, „ostjüdisch“ stigmatisierten Entwurf „der Pionierin“ in Palästina abzugrenzen (vgl. S. 254f.).

Bovermanns Arbeit ist Teil einer Reihe von Forschungen zur Rolle von Frauen in der deutschsprachigen zionistischen Bewegung und ihren geschlechterspezifischen Zionismusentwürfen 1 und grenzt sich zugleich von diesen ab, indem sie ‚Frauenbereiche‘ als nicht getrennt von der allgemeinen Bewegung und als politische Standpunkte „im Sinne einer zionistischen Strömung“ (S. 18) beschreibt. Demzufolge fokussiert sie ausschließlich Schlüsseldebatten, in denen das Konzept der „Gegenwartsarbeit“ entwickelt wurde. Gerade hier treten Redundanzen auf und es sei dahingestellt, ob der separierte Diskursausschnitt geeignet ist, um die verhandelten Geschlechterkonstruktionen deutscher Zionistinnen systematisch und umfänglich herauszuarbeiten. So besteht die Gefahr, dass Bezüge zu anderen relevanten Deutungsmustern, welche Geschlecht strukturieren, vernachlässigt werden, zumal „Gegenwartsarbeit“ hier gleichermaßen Analysemittel wie -ergebnis zu sein scheint. Hinzu kommt, dass die Einordnung der rekonstruierten frauenpolitischen Entwürfe in die umgebenden Diskurse und damit eine notwendige Kontextualisierung stellenweise recht knapp ausfällt, was sich durch die Nachordnung der entsprechenden Zwischenkapitel zu den zionistischen Frauenvereinen noch verstärkt. Auffallend ist hier auch der größtenteils fehlende Einbezug von aktuellen Veröffentlichungen zum deutschen Zionismus, die denselben Untersuchungszeitraum und Diskursraum behandeln.2 Zudem war die Jüdische Rundschau nicht der einzige Ort, an dem frauenpolitische Positionierungen in der zionistischen Bewegung ausgehandelt wurden. Hier hätte man sich als Leser:in eine noch schärfere Verortung und Analyse der Repräsentativität sowie Relevanz der rekonstruierten Diskurse, Narrative wie Akteurinnen gewünscht.

Indem Bovermann aber durchgehend schlüssig und konsequent darlegen kann, dass deutsche Zionistinnen in ihrer Aneignung des Konzeptes der Gegenwartsarbeit eine „positive, spezifisch weibliche Identität“ (S. 291) entwarfen, kann sie zeigen, dass Frauen viel häufiger zu den allgemeinen Themen und ideologischen Strömungen der zionistischen Bewegung Stellung bezogen als bisher angenommen. Damit vermeidet sie auch, die geschlechtlich wie national konnotierten Zugehörigkeiten deutscher Zionistinnen auf einen bloßen „Beitrag“ der Frauen zur Bewegung oder eine reine Organisationsgeschichte zu reduzieren. Aktiv entwickelten sie „Strategien zur Selbstermächtigung“ (S. 291), die ihnen dazu dienten, ihre geschlechtsspezifische Vereinstätigkeit wie politische Partizipation zu legitimieren und schrittweise zu erweitern. Dabei verhandelten sie nicht nur ihre weibliche Identität und ihre Vorstellungen eines zionistischen Nationalismus, sondern traten als politisch handelnde Akteurinnen auf, die in Räume vordrangen, die (zuvor) oftmals von Männern dominiert wurden.

Bovermann ist damit eine lesenswerte und spannende Untersuchung gelungen, welche die zionistische Geschichtsschreibung durch eine notwendige geschlechterhistorische, integrative Perspektive erweitert und zugleich die These der „Stummheit der Frauen“ im Zionismus noch weiter widerlegt.

Anmerkungen:
1 Vgl. Tamara Or, Vorkämpferinnen und Mütter des Zionismus. Die deutsch-zionistischen Frauenorganisationen 1897–1938, Frankfurt a. M. 2009; Claudia Prestel, Feministische und zionistische Konstruktionen der Geschlechterdifferenz im deutschen Zionismus, in: Andrea Schatz und Christian Wiese (Hrsg.), Janusfiguren. Jüdische Heimstätte, Exil und Nation im deutschen Zionismus, Berlin 2006, S. 105–122.
2 Vgl. Sabrina Schütz, Die Konstruktion einer hybriden ‚jüdischen Nation‘. Deutscher Zionismus im Spiegel der Jüdischen Rundschau 1902-1914 (Formen der Erinnerung 68), Göttingen 2019; Stefan Vogt, Subalterne Positionierungen. Der deutsche Zionismus im Feld des Nationalismus in Deutschland 1890-1933, Göttingen 2016.

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